
Steigende Infektionszahlen
Leider dämpfte das vergangene Wochenende die Hoffnung, dass es uns in Europa sogar ohne Impfstoff gelingen könnte, das Coronavirus einigermaßen in Schach zu halten.
Die Meldungen von neuen Ausbrüchen in Spanien sind verstörend, die Infektionszahlen in dem Urlaubsland steigen. In Österreich gibt es Dutzende Fälle am Wolfgangsee, eine bei Deutschen beliebte Ferienregion. Wir erinnern uns: Im März läutete unter anderen der Corona-Hotspot Ischgl die erste Welle ein. Und offenbar haben Reiserückkehrer vom Westbalkan oder aus der Türkei zuletzt das Virus vermehrt wieder eingeschleppt.
Nun darf sich kostenfrei direkt an Flughäfen testen lassen, wer aus einem sogenannten Corona-Risikogebiet einreist. Im Falle eines negativen Testergebnisses entfällt die ansonsten notwendige Quarantäne. Doch außer Luxemburg stuft das Robert-Koch-Institut (RKI) kein EU-Land als Risikogebiet ein, auch Spanien nicht. Und letztlich ist ein solcher Test wegen der Inkubationszeiten nur eine Momentaufnahme. Wer heute negativ getestet ist, kann schon morgen positiv sein.
Besser macht es da ausgerechnet Großbritannien, selbst noch Corona-Entwicklungsland mit einem massiven Mangel an Testkapazitäten. Fortan soll dort gelten: Wer aus Spanien zurückkommt, muss 14 Tage in Quarantäne.
Die Ichlinge und die Naiven
Wir entkommen der Pandemie nicht, nicht mal im Urlaub. Gerade nicht im Urlaub. Haben wir allesamt ein bisschen zu früh unser altes Leben leben wollen? Riskieren wir für ein paar Wochen Urlaub den nächsten, monatelangen Lockdown? Und werden das am Ende wieder Ältere mit ihrem Leben bezahlen, Jüngere mit ihrer Gesundheit und Jüngste mit Schulekitadicht?
So einfach ist es nicht. Die größte Gefahr ist nicht der Urlaub, sondern sind die Ichlinge und die Naiven. Egal ob im Urlaub oder daheim.
Die Ichlinge machen illegal Party in den Parks der großen Städte, an den Stränden des Mittelmeers oder opfern die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zum Beispiel in einem Schweine-Konzern dem Profit. Sie haben ein vulgäres Freiheitsverständnis, das sich oftmals am Nichttragen einer Maske festmacht. Sie halten keinen Abstand und Corona für ein Grippchen. Sie tragen Fantasienamen in die Kontaktlisten von Restaurants ein. Und brüsten sich damit. Zuerst kommen sie und dann kommt ganz lange nichts. Sie sind sehr männlich.
Diesen Leuten ist nicht mehr zu helfen.
Dann aber die Naiven. Die installieren sich die Corona-Warn-App, tragen Maske und waschen sich die Hände. Sie machen einfach das, was vorgeschrieben - und vor allem: was erlaubt ist.
Wenn Bars geöffnet sind, gehen sie rein. Wenn Restaurants drinnen servieren dürfen, setzen sie sich nicht erst auf die Terrasse. Wenn sich bald wieder Zehntausende in ein Fußballstadion drängen, einfach weil es eben erlaubt ist, dann sind sie dabei. Wenn der Fahrstuhl fährt, nehmen sie ihn. Wenn in Sälen wieder laut gesungen werden darf, singen sie mit. Sofern das nicht untersagt ist, machen sie die Fenster zu, weil es ziehen könnte.
Wenn sie infiziert sind, sagen sie: Komisch, wir haben uns doch an alle Hygieneregeln gehalten.
Ein wunderbarer Pedant
Was bleibt von Hans-Jochen Vogel? Zuerst einmal eine Stadt. Das moderne München ist das Werk des Oberbürgermeisters Vogel, 1960 bis 1972. Die U- und S-Bahn, das Olympiagelände, schließlich die Olympischen Spiele.
Danach: Bundesbauminister, Bundesjustizminister, Regierender Bürgermeister von Berlin, SPD-Kanzlerkandidat, Fraktionschef, Parteichef. Mehr haben nur Kanzler zu bieten.
Vogel galt bei seinen Genossen als pingeling, bürokratisch, fleißig, allwissend. Er nahm die Sache stets sehr genau und sich selbst nicht so wichtig. Oder zumindest wusste er damit zu kokettieren, dass er sich selbst nicht allzu wichtig nahm. "Der Intellekt ist die Schaltstelle seines Lebens. Was andere fühlen, kann er sich denken”, schrieb SPIEGEL-Reporter Jürgen Leinemann einst über den Kanzlerkandidaten.
Als später der Kanzler Gerhard Schröder die Agenda-Reformen in der SPD durchboxte, stand ihm der hochangesehene Vogel auf einem Sonderparteitag im Juni 2003 zur Seite, lieh Autorität. Möglicherweise rettete er Schröder die Kanzlerschaft.
In dieser Zeit habe ich Hans-Jochen Vogel persönlich kennen gelernt. Er wohnte damals noch in der Münchner Altstadt, bevor er mit seiner Frau in ein Altersheim zog. Der Besucher musste eine steile Treppe hinauf, dann auf einen Stuhl, dessen Lehne gefühlt im 90-Grad-Winkel zur Sitzfläche stand. Man saß sehr aufrecht bei Hans-Jochen Vogel.
Wir haben stets über Fax kommuniziert und ich habe in der Redaktion immer darauf geachtet, dass dieses altertümliche Gerät funktionsfähig bleibt. Vogel war schließlich mein einziger Faxkontakt. Interviews schickte er übersät mit Anmerkungen am Rand. Einmal korrigierte ich ihn in einer Aussage zur SPD-Geschichte. Da schrieb er zurück, ich hätte Recht. Das habe ich mir aufgehoben.
An diesem Sonntag ist Hans-Jochen Vogel im Alter von 94 Jahren in München gestorben.
Verlierer des Tages…
…ist der britische Transportminister Grant Shapps. Am Samstag verabschiedete sich Shapps mit seiner Familie in den Sommerurlaub nach Spanien. Dann die Überraschung: Daheim verkündeten die Experten seines Ressorts gemeinsam mit dem Außenministerium, dass Spanien-Rückkehrer von diesem Montag an 14 Tage in Quarantäne müssen. Pech für Shapps.
Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer
July 27, 2020 at 10:48AM
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Die Lage am Morgen: Kommt die zweite Welle - oder stecken wir schon drin? - DER SPIEGEL
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